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Kachelbild und Foto: © Robert Lohmeyer, aus: Dominik Hans, Paul Leutwein, Robert Lohmeyer, Kurd Schwabe (Hg.): Die deutschen Kolonien: Jubiläumsausgabe zur vierzigjährigen Wiederkehr des Beginns der deutschen Kolonialgeschichte. Berlin 1926.

Fotografie-Symposium: Deutsche Grenzen vor und nach der Berliner Mauer

Das Symposium fand am Sonntag, den 24. November 2019, in der Galerie der Neuen Schule für Fotografie statt.

In unserer globalisierten Welt ruft das Thema „Grenzen“ zahlreiche abstrakte und ganz konkrete Assoziationen hervor. Grenzzäune und Mauern sind keineswegs ferne Geschichte, sie entstehen überall auf der Welt und in unseren Köpfen immer wieder neu und unterminieren die Idealvorstellungen von einer offenen, transnationalen Gemeinschaft.

Geht es speziell um Deutschland, denkt man in diesem Zusammenhang vor allem an die ehemalige deutsch-deutsche Grenze und an die Berliner Mauer. Dabei gab und gibt es hierzulande zahlreiche Grenzen, die über ihre eigentliche Funktion hinaus sogar Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung geworden sind.

Mit dem Fotografie-Symposium 2019 wagten wir es – im Mauerfall-Gedenkjahr, in der deutschen Hauptstadt –, die Berliner Mauer zu umgehen. Stattdessen begaben wir uns auf eine erweiterte Grenzsuche in der deutschen Geschichte und Gegenwart: in die ehemaligen deutschen Kolonien, an die Ränder der EU und vor die eigene Haustür.

Mit: Rannveig Einarsdóttir, Dr. Hanin Hannouch, Dr. Patrice G. Poutrus, Julius C. Schreiner, Sebastian Wells, Dr. Benjamin Zachariah

Konzeption: Maren Mittentzwey (Neue Schule für Fotografie)

Moderation: Dr. Susanne Holschbach (Neue Schule für Fotografie)

 

 


Keynote: Walls and Bridges

Dr. Benjamin Zachariah (Universität Trier)

Unser Keynote Speaker Benjamin Zachariah promovierte an der Universität Cambridge über das Thema „Beyond Economics: Ideas of Developing India, c. 1930-1950“ und arbeitet zurzeit an der Universität Trier. Seine neueste Publikation „After the last Post. The Lives of Indian Historiography“ erschien diesen Sommer bei de Gruyter.

 

 


Hito Steyerl, „Die leere Mitte“ (1998)

Die Videoarbeit „Die leere Mitte“ entstand zwischen 1990 und 1998, als Hito Steyerl in ihren Mitt-/End-20ern war. Sie war Regieassistentin im Team von Wim Wenders, als sie mit den Dreharbeiten dazu begann, und beendete die Arbeit während ihres Studiums an der Hochschule für Fernsehen und Film München.

Steyerl spannt in „Die leere Mitte“ einen historischen Bogen über circa zweihundert Jahre und beleuchtet Ereignisse und Entwicklungen um den Potsdamer Platz herum, die den Ort als das Zentrum der politischen Macht Berlins, Preußens und Deutschlands zementierten. Der Künstlerin gelingt eine engmaschige thematische Verflechtung, die Parallelen bzw. Wiederholungen in der Geschichte über die Jahrhunderte hinweg aufzeigen. Beachtlich ist, wie weit sie als Künstlerin in ihrer Recherche bereits in den 90er-Jahren kam, wenn man bedenkt, dass viele der Themen, die sie anreißt – z.B. die Berlin-Konferenz von 1884/85, die die Grenzverläufe in den europäischen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent besiegelte, aber auch die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus –, erst heute überhaupt einen nennenswerten Eingang in die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland gefunden haben und diskutiert werden.

Es geht in dieser Arbeit auch um Menschen wie Bayume Mohamed Hussein aus Deutsch-Ostafrika, der den Zweiten Weltkrieg als Schwarzer Schausteller im Haus Vaterland fast überlebt hätte, dann aber von den Nationalsozialisten nach Sachsenhausen deportiert und dort 1944 ermordet wurde. Über ihn gab es erst 2007 eine Buchveröffentlichung, 2013 drehte Eva Knopf die sehr eindrückliche Dokumentation „Majubs Reise“. Husseins Stolperstein liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer Schule (Brunnenstraße 193). Steyerls Videoarbeit war und bleibt bis heute enorm weitsichtig und war ihrer Zeit um mindestens 15 Jahre voraus.

Wie hochaktuell dieser Film immer noch ist, zeigt übrigens ein Fall, der in der Woche vor dem Symposium einmal wieder Schlagzeilen hier in Berlin machte: Letzte Woche Mittwoch begab sich Gerson Liebl vor das Rote Rathaus und trat in einen Hungerstreik, um für seine Einbürgerung zu kämpfen.

Grenzen haben auch mit Aufenthaltsrecht zu tun. Liebl ist der Enkel eines deutschen Kolonialbeamten in Togo und aufgrund der absurden deutschen Rechtslage zur Staatenlosigkeit verdammt: In Togo sagt man, er sei Deutscher, die Deutschen behaupten, Togo sei zuständig für seinen Aufenthaltstitel. Deutschland hat vor allem Angst vor einem Präzedenzfall, dem weitere Forderungen von Menschen in ähnlicher Situation folgen könnten. Aber dies wirklich nur am Rande, um zu erläutern, dass unsere koloniale Vergangenheit im Heute nachhallt.

Link zur Videoarbeit „Die leere Mitte“

 

 


„Das wilde Land wurde mir fast zur zweiten Heimat“: Robert Lohmeyers Farbfotografien in den deutschen Kolonien

Dr. Hanin Hannouch (Kunsthistorisches Institut Florenz – Max-Planck-Institut / Staatliche Museen zu Berlin)

Wir begeben uns auf direktem Weg in die deutschen Kolonien und schreiben den Anfang des 20. Jahrhunderts.

Hanin Hannouch promovierte an der Scuola IMT Alti Studi in Lucca in Italien über Sergeij Eisenstein als Kunsthistoriker und ist zurzeit Post-Doc in der Forschungsgruppe „4A Lab: Art Histories, Archaeologies, Anthropologies, Aesthetics“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, in Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin. Ihre Forschungsinteressen sind frühe Farbfotografie, die Geschichte des Kaiserreichs und die Dekolonialisierung von Fotografiesammlungen in ethnologischen Museen. Sie arbeitet momentan über den Fotografen Robert Lohmeyer, in dessen Fotografien aus den deutschen Kolonien sie uns in ihrem Vortrag Einblick gab.

 

Der Vortrag von Dr. Patrice G. Poutrus musste leider wegen Krankheit entfallen.

 


Abschottung ohne Grenzen: Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland und an den EU-Außengrenzen

Sebastian Wells (Agentur Ostkreuz) und Rannveig Einarsdóttir (freie Fotografin und Sozialpsychologin MSc)

Präsentation und Diskussion der jeweils im Eigenverlag erschienenen Fotobücher „Utopia“ und „Provisional Life“

Am Thema „Flucht und Migration“ kommt man heutzutage nicht vorbei, wenn man sich mit Grenzen – aus welchem Blickwinkel auch immer – beschäftigen möchte. Mit diesem Beitrag begaben wir uns an die künstlich erweiterten Außengrenzen Europas, an denen unsere Regierung ordentlich mitmischt und den Ton angibt, und sahen uns an, wie Geflüchtete in Deutschland bei ihrer Ankunft untergebracht werden.

Rannveig Einarsdottír ist freie Fotografin und Sozialpsychologin. Sie ist regelmäßige Teilnehmerin des von Eva Maria Ocherbauer geleiteten englischsprachigen Workshops „From Images to Narratives“ und war 2016 Studentin in der Freien Klasse von Eva Bertram, beide hier an der Neuen Schule für Fotografie Berlin. Das hier vorgestellte Fotobuch „Provisional Life“ erschien 2019 im Eigenverlag.

Sebastian Wells ist freier Fotograf und seit 2019 Mitglied der Agentur Ostkreuz hier in Berlin. Er erhielt bereits mehrere Preise und war mit seiner Serie „Utopia“ vor Kurzem hier in der Galerie in der Ausstellung der diesjährigen Finalist*innen des Leica-Oskar-Barnack-Awards zu sehen. Sebastian Wells ist mit seinen 21 Kolleg*innen der Agentur Ostkreuz Teil des aktuellen arte-Features „Prolog. Deutschland im Jahre 2019“. Das hier vorgestellte Fotobuch „Utopia“ war seine Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule und erschien 2019 im Eigenverlag.

Bei den vorgestellten Arbeiten handelt es sich um im Eigenverlag erschienene Fotobücher, das heißt die beiden hatten die volle Entscheidungsgewalt bei der Herstellung ihres jeweiligen Buches. „Utopia“ hatte eine Erstauflage von 100 Stück und ist ausverkauft. Als Folgeformat bietet Sebastian Wells seine Arbeit im Zeitungsformat an. „Provisional Life“ erschien in einer Auflage von 400 Stück.

Die beiden Fotobücher lassen sich sehr gut miteinander vergleichen, auch wenn sie im Ansatz und im Ergebnis grundverschieden sind. Sebastian Wells und Rannveig Einarsdottír haben sich eine Choreografie überlegt, die als Gespräch zwischen den beiden angelegt war.

 

 


„Excl.“: Exklusion und subtile Disziplinierung im vermeintlich öffentlichen Raum

Julius C. Schreiner (Künstler / Fotograf)

Julius C. Schreiner ist freier Fotograf und Künstler. Er studierte bei Joachim Brohm an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. 2018 belegte er mit seiner Arbeit „Silent Agents“ (Teil der hier vorgestellten Werkgruppe „Excl.“) den jeweils 2. Platz des BFF-Förderpreises sowie des Fotografie-Preises vom Münzenbergforum. 2019 wurde Julius C. Schreiner durch die Rößing Stiftung für sein Diplom mit dem Abschluss-Preis für Fotografie ausgezeichnet. Aktuell sind seine Arbeiten unter anderem in der Ausstellung „Moderne Ikonographie“ im Kunstmuseum Magdeburg zu sehen, ab 17. Januar 2020 in Berlin im Rahmen der Gruppenausstellung „Verletzbare Subjekte“ in der Zitadelle Spandau.

Die Werkgruppe „Excl.“ visualisiert gestalterische Eingriffe im urbanen, vermeintlich öffentlichen Raum. Diese Eingriffe zeigen sich in Form von produktgestalterischen oder architektonischen Interventionen, die subversiv disziplinieren, kontrollieren oder ausgrenzen sollen. Der Entwicklung zu Grunde liegen sich verschärfende gesellschaftliche und ökonomische Verteilungsfragen, die Julius Schreiner durch die fotografische Interpretation einer Industrie in den Fokus rückt.